Ton statt Testosteron

von Stefanie Supplieth

künstlerische Leitung der Jugendwerkstatt

aus "Mauern öffnen: 40 Jahre Bildhauerwerkstatt in der JVA Bremen"

Es ist Dienstag, 10 Uhr morgens in der Bildhauerwerkstatt. Besuch hat sich angemeldet. Sechs Vertreterinnen von »KiTa Bremen« planen zukünftige Projekte mit uns und möchten dazu unsere Arbeitsweise kennenlernen. Ihr Besucherantrag wurde genehmigt. Der Anruf von der Pforte kommt. Der Besuch soll abgeholt werden. Die jugendlichen Insassen sind informiert. Um in den Besucherraum zu gelangen, muss ich elf Türen öffnen und schließen. Ich begrüße die Gruppe mit Handschlag und stelle mich vor. Ein Vollzugsbeamter öffnet die Tür zum Revisionsraum auf, in dem die Besucher kontrolliert werden. Der Vorgang erinnert mit Taschenkontrollen und den Gang durch einen Metalldetektor bei Kontrollen in Flughäfen. Auf der anderen Seite des Raumes nehme ich unsere Gäste wieder in Empfang. Wir befinden uns im Neubau der Justizvollzugsanstalt und gehen durch den langen Flur des Besuchertraktes. Rechts von uns können wir die unterschiedlich gestalteten Besucherräume sehen. Links von uns befinden sich die engen Zellen, in denen die Insassen auf Besuch warten. Es ist keine Besuchszeit. Die Türen stehen offen. Einige meiner Gäste versuchen sich durch einen kurzen, scheuen Blick Einsicht zu verschaffen. Die Gruppe Läuft schweigsam hinter mir her. Wieder öffnen und schließen sich elf Türen. Wir stehen im Hof der JVA. Ich erzähle kurz etwas über die Geschichte dieses Ortes. Die Zeit ist knapp. In einer Stunde und 20 Minuten ist schon Mittags-Umschluss, bis dahin sollten unsere Gäste wieder in Freiheit entlassen sein. Wir sind am Ziel und stehen vor einer grünen Wellblechhalle von circa 300 Quadratmetern Grundfläche.


Ich sperre das Metalltor auf und bitte die Besucher her¬ein. »Herzlich willkommen in der Bildhauerwerkstatt für Jugendliche!« Große Tierskulpturen beim Eingang begrüßen uns freundlich. Der Blick fällt in die große Halle, keine Spur mehr von dem tristen und geordneten Eindruck der Anstalt zuvor. An den weißen Wänden hängen Tierkopfportraits und bunte keramische Platten, auf denen Initialen eingearbeitet sind. In der Mitte stehen vier große Arbeitstische auf hohen Böcken, auf denen sich unfertige Tonarbeiten tummeln. Eine Stele mit rosa Flamingo, Platten für ein Projekt, auf denen in unterschiedlichen Sprachen »Willkommen« steht, eine kleine Meerjungfrau in einer Muschel, Tonbeutel und Modellierwerkzeug und andere große und kleine Skulpturen. Auf der Empore, die die Halle rahmt, schauen bunt glänzende Büsten nach unten in das Atelier. Unsere acht Insassen sitzen im Sozialraum, beobachten den Besuch hinter einem glaslosen Fenster und spielen Karten.


2001 gliederte sich die Bildhauerwerkstatt für jugendliche Straftäter an die schon bestehende Werkstatt für Erwachsene an und orientiert sich seither an ihrem bewährten Konzept. Mit der Erwachsenen- und der Außenwerkstatt entwickeln wir Ideen für Platzgestaltungen in Kitas, Schulen, Kirchengemeinden oder öffentlichen Grünanlagen - und immer in Stadtteilen, die sozial benachteiligt sind. Die Werkstatt bietet acht Insassen für sieben Stunden täglich eine kreative Tätigkeit. Hier erwerben die Insassen ein kleines Einkommen. Während die Erwachsenen Skulpturen in Stein und Holz erstellen, arbeiten die Jugendlichen an Skulpturen aus Ton. Dieser Werkstoff ist ein schnelles und leicht zu korrigierendes Arbeitsmaterial und für die anfangs häufig unruhigen Jugendlichen ein sehr geeignetes Medium. Auch Gefangene, die sich in keiner anderen Maßnahme integrieren können, landen häufig bei uns. Hier bekommen sie eine letzte Chance, die Zeit ihrer Strafe sinnvoll zu nutzen. Mit wenigen Ausnahmen gelingt es uns, die unterschiedlichen Charaktere zu integrieren und einigen von ihnen erstmals zu einer positiven Resonanz, innerhalb und außerhalb des Vollzugs, zu verhelfen. Wir führen das auf die spezielle Situation unserer Werk¬statt zurück, mit Künstlern zu arbeiten, ohne Aufsicht von Vollzugspersonal. Die Jugendwerkstatt wird von vier Künstlern und Künstlerinnen mit akademischer Ausbildung und handwerklicher Qualifikation geleitet, die im Wechsel jeweils zu zweit vor Ort arbeiten.


Die Raucherpause für die Jugendlichen ist beendet. Ich frage in die Gruppe, wer dem Besuch die Werkstatt zeigen möchte. Herr R. und Herr V. sind schnell bereit und stellen sich den Besucherinnen und Besuchern vor. Wir geben Starthilfe: »Zeigen Sie, am was sie gerade arbeiten und erzählen Sie von der Probezeit.« Herr R. beginnt die Probearbeiten zu erklären. »Wenn wir beginnen, in der Bildhauerwerkstatt zu arbeiten, machen wir drei Platten aus Ton, so wie sie hier hängen«, und er zeigt auf die Wandarbeiten, auf denen Initialen mal aufmodelliert und mal in die Tiefe gearbeitet wurden. »Dann müssen wir alle einen Pinguin machen. Die sind alle hohl, weil sie sonst im Ofen platzen. Und danach machen wir einen Hund oder eine Katze.«


Die Jugendlichen haben zu Beginn ihrer Arbeit eine Probezeit von drei Wochen. Sie werden über unsere Werkstattregeln aufgeklärt und auch darüber, dass sie sich an den Putzplan zu halten haben. Mit ihrer Unterschrift schließen sie den ersten verbindlichen Kontrakt mit der Werkstatt. Herr R. zeigt den Gästen einen Pinguin. Herr R. und Herr V. beginnen, mit der Besuchergruppe ein angeregtes Gespräch zu führen. Wie lange braucht man für einen Pinguin? Haben Sie das ganz allein gemacht? Woran arbeiten sie im Moment? Macht Ihnen die Arbeit hier Spaß? Aus welchem Land kommen Sie? Albanien, Polen, Deutschland, Syrien, Iran, Marokko, Algerien,...


Das gestaltende Arbeiten bietet den Jugendlichen die Möglichkeit, eigene Ideen umzusetzen. Sie Lernen, dass man nur mit Teamgeist und Respekt vor den Arbeiten Anderer und Respekt vor den eigenen Arbeiten zu guten Leistungen kommt. Das sind wichtige und grundlegende Erfahrungen, die viele hier das erste Mal in ihrem Leben machen. Die Werkstätten sind Produktionsbetriebe mit künstlerischem Hintergrund. Therapeutische Effekte sind erwünscht, aber nicht Ziel der Maßnahme. Wir glauben, dass gerade dadurch die Jugendlichen offener und erreichbarer sind. Auch sind sie der künstlerischen Leitung gegenüber unvoreingenommener und deshalb vielleicht eher bereit, sich Anweisungen zu fügen und damit an einem gemeinsamen Ziel ruhig und konzentriert zu arbeiten. Die Bildhauerwerkstatt ist nicht nur eine Produktionsstätte, sondern auch ein Ort, an dem ein Gedankenaustausch zwischen Menschen verschiedener Kulturen stattfindet und kreative Ideen umgesetzt werden. Die bildhauerischen Ergebnisse der Gefangenen finden in Gestaltungen von öffentlichen und halböffentlichen Räumen, wie z.B. Schulen, Kitas und Parkanlagen in Bremen ihren Platz. Selbst an einer künstlerischen Zeichensetzung beteiligt zu sein, der Umwelt, in der sie leben, etwas hinzuzufügen, anstatt ihr destruktiv zu begegnen, gibt den Jugendlichen einen weiteren positiven Impuls. Ziel der Bildhauerwerkstatt ist es, mit der Präsenz der Kunst¬werke in der bremischen Öffentlichkeit Mauern zu öffnen und Brücken zu schlagen. Eine festgelegte Tages- und Arbeitsstruktur in der Werkstatt gibt Halt, Zugehörigkeit und Sicherheit. Durch konzentriertes Arbeiten, das Ein¬halten von Regeln und Anweisungen sowie das Üben von sozialem Verhalten und Teamfähigkeit erleichtern den Teilnehmern die nötigen Grundlagen für einen zukünftigen Arbeits- oder Ausbildungsplatz und den gesellschaftlichen Umgang. Sich als Persönlichkeit in einen gemeinsamen Prozess integrieren, mit zielgerichteten Tätigkeiten eine praktische Qualität erfahren, kreative, schöpferische Kräfte den zerstörerischen entgegensetzen - das sind positive Erfahrungen, die Gefangene bei uns machen können. Das künstlerische Arbeiten ermöglicht dem oft tristen und unsicheren Alltagsleben des Vollzugs zu entfliehen und sich auf kreativem Weg mit der eigenen Straftat auseinanderzusetzen.


Gemeinsam gehen wir in den hinteren Teil der Bildhauerwerkstatt, an den großen Brennöfen vorbei. Hier arbeitet der Rest der Gruppe an großen Tischen. Unsere Gäste sind beeindruckt. Sie treffen auf umgängliche Jugendliche, die stolz ihre Arbeiten präsentieren. Von Herrn V. begleitet, besichtigen alle noch die Arbeiten auf der Empore. Hier stehen kleinere Keramiken, die nicht für Projekte vorgesehen sind. Eine Besucherin verliebt sich in einen Pinguin, ein Besucher in ein Okapi. »Was passiert mit diesen Arbeiten?« Zweimal im Jahr, zum Sommerfest und Weihnachtsbasar, können diese und andere Skulpturen außerhalb der Gefängnismauern erworben werden. Wir nehmen die Lieblingsstücke mit nach unten. Herr R. beginnt wie ein orientalischer Teppichhändlerum den festgelegten Preis zu feilschen und ist bemüht, den Preis in die Höhe zu treiben. Wir lachen alle. Kaum vorstellbar, dass er im letzten Monat eine gelbe Karte und eine Abmahnung bekommen hat, die fast zum Verlust seines Arbeitsplatzes in der Werkstatt geführt hätte. Herr V., ein aufgeweckter junger Mann aus Albanien, ist schon sechs Monate in der Bildhauerwerkstatt und hat noch einige Zeit in der JVA vor sich. Er lässt cool einen großen, schweren Ball durch die Halle rollen, bis zu Füßen der Besucherinnen und Besucher. Es ist eine schwere, perfekt gearbeitete Sandstein¬kugel, die er aus einem noch größeren Oberkirchner Sandsteinblock gehauen hat. Solch eine Arbeit erfordert viel Disziplin und Durchhaltevermögen. Das Ergebnis liegt vor unseren Füßen!


Die Zeit drängt und ich übergebe den Besuch an meine Kollegin aus der Erwachsenenwerkstatt. Diese grenzt direkt an unsere Halle. Wir treffen uns alle etwas später im Büro wieder, das wie eine Brücke zwischen beiden Werkstätten liegt. Dort präsentieren wir Fotos von fertig¬gestellten Projektarbeiten, um einen Einblick in die künstlerischen Konzepte zu geben. Nach den Betriebsferien wollen wir unseren Kontakt intensivieren. Betriebsferien? Bleiben die Insassen dann ohne Arbeit und Verdienst? Nein, dann entstehen in den Zellen Arbeiten auf Papier. Zum Abschied öffnen und schließen sich wieder elf Türen.

11 Gebote

  1. Die Arbeits- und Pausenzeiten müssen selbstständig eingehalten werden!
  2. Der Umgangston in der Werkstatt ist höflich und sachlich.
  3. Arbeitsanweisungen sind zu befolgen.
  4. Putzpläne müssen eingehalten werden.
  5. Die Arbeiten aller Mitarbeiter sind zu respektieren und dürfen nicht gegenseitig beschädigt werden.
  6. Mit Ton werfen ist untersagt.
  7. Die Kontaktaufnahme zu erwachsenen Inhaftierten ist nicht gestattet. Aus diesem Grund ist es auch nicht gestattet, sich im Bereich des Tors aufzuhalten.
  8. Das Büro, der Werkzeugraum sowie der obere Bereich der Werkstatt dürfen nur nach Aufforderung betreten werden.
  9. Das Rauchen ist nur im Pausenraum gestattet.
  10. Wer diese Regeln nicht einhält, kann hier nicht arbeiten.
  11. Wer eine dritte Abmahnung erhält, verliert seinen Arbeitsplatz!


Habe ich gelesen!

Unterschrift